Kommentar der Anderen

Aufstand in der Türkei: Hoffnung für Ilisu und Co?

Wien, 18.6.2013 Den Aufstand in der Türkei habe ich nicht erwartet. Oft bin ich in den letzten Jahren mit Freunden in Hasankeyf, Diyarbakir oder Istanbul gesessen und hab über einen möglichen Aufstand geredet, philosophiert. „Wieviel werden sich die Leute  hier noch gefallen lassen?“ haben wir uns immer wieder gefragt. Enorm viel. Bis jetzt.
 

 

 

 

 

Proteste gegen den Ilisu Staudamm in Hasankeyf. Der Bau schreitet voran, die Proteste gehen weiter.
Photo: Doga Dernegi

In Istanbul reicht es den Menschen, dass ihre Heimat verbaut werden soll. Gezi Park, ein dritter Flughafen, neue Brücken, ein neuer Schifffahrtskanal parallel zum Bosporus… Es reicht ihnen v.a. die Bevormundung durch den totalitär agierenden Staat.

Die Türkei ist zu einer Wirtschaftsmacht aufgestiegen und zwar v.a. durch die rücksichtslose Ausbeutung des Landes. Der Staat ist zu einer riesigen Baufirma verkommen, die keinerlei Rücksicht auf Menschen, Natur und Kulturgüter nimmt. Das scheint der Regierung nun (endlich) zum Verhängnis zu werden.

Noch sind die Proteste v.a. auf den Westen des Landes beschränkt. Weit schlimmer als die bekannten Megaprojekte in Istanbul ist aber das, was im Osten des Landes geschieht.

In Anatolien wird die gesamte Landschaft samt ihrer Bewohner „umgedreht“: es werden überall neue Straßen gebaut, riesige Baumwollfelder angelegt und vor allem werden Staudämme gebaut. Das Ilisu-Projekt am Tigris ist dabei nur die Speerspitze eines ungeheuren Vorhabens: die Regierung Erdogan möchte bis 2023 insgesamt 4.000 Dämme bauen lassen. Danach soll kein Fluss mehr frei fließen. Hundertausende Menschen müssten dafür aus ihrer Heimat vertrieben werden, Natur- und Kulturgüter von unermesslichem Ausmaß würden zerstört.

Und wer denkt, dass sei eben der Preis des Fortschritts, der fahre bitte mal hin oder höre sich die Reportage des Bayerischen Rundfunks an:http://www.br.de/radio/b5-aktuell/sendungen/notizen-aus-aller-welt/wasserkraft-segen-oder-fluch-notizen-aus-der-tuerkei-100.html

 

 

 

Staudammprojekt an der Schwarzmeerküste der Türkei
Photo: Doga Dernegi

Mitsprache, Umweltgesetze etc. gibt es nicht und wenn doch, dann werden sie ruckzuck im Sinne der Bauvorhaben geändert. So hat die Regierung kürzlich ein Gesetz „zum Schutz der Natur und Biodiversität“ erlassen. Klingt gut, aberes beinhaltet genau das Gegenteil. Danach ist es selbst in Nationalparken erlaubt Staudämme zu errichten, noch dazu ohne vorherige Prüfung der Umweltverträglichkeit (UVP). Selbst die Proteste der EU gegen dieses Gesetz verhallten ungehört. Oder: in Sachen Ilisu erließ der Oberste Gerichtshof der Türkei im Januar 2013 einen sofortigen Baustopp, weil selbst die schwachen Umweltgesetze nicht eingehalten wurden. Doch anstatt dem Urteil zu folgen, erließ der Umweltminister am 5. April eine Änderung des UVP Gesetzes – der Bau ging ungehindert weiter.

Bis jetzt halten sich die Menschen im Osten des Landes zurück. In Diyarbakir, Van, Mardin etc. sind keine größeren Proteste bekannt geworden. Vermutlich deshalb, weil man hier den begonnenen Friedensprozess der Regierung mit den Kurden sowie mit der PKK nicht gefährden will. Doch der Funke der Proteste könnte bald das ganze Land erfassen und dann könnte es auch schneller als gedacht vorbei sein mit dem Staudammwahn.

 

 

 

Proteste gegen den Ilisu Staudamm in Hasankeyf.
Photo: Doga Dernegi

Was gerade in der Türkei geschieht ist eine Emanzipierung der Menschen gegenüber den Machthabern, eine Stärkung der Demokratie. Es macht Hoffnung, dass doch etwas von dem zu retten ist, was die Türkei ausmacht: ihre unschätzbaren Kulturgüter, ihre großen Naturgebiete in denen noch Gazellen umherstreifen und Leoparden leben.

Vielleicht kommt diese Revolution für das Ilisu-Projekt zu spät, für viele andere Projekte aber könnte es noch rechtzeitig sein.

Egal, wie die Unruhen ausgehen, die Menschen in der Türkei haben gemerkt, dass sie sich wehren können. Sie werden sich nicht mehr so viel gefallen lassen. Es beginnt eine neue Zeit in der Türkei.

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Climate Crimes – die andere Sicht der Dinge

Die Reaktion auf den Film Climate Crimes waren in der Regel äußerst positiv, doch natürlich gibt es auch Kritik. Alles andere wäre auch merkwürdig bei einem derart wichtigen Thema. Vor allem auf Seiten der Klimaschützer wird der Film mit einigem Unbehagen gesehen und kontrovers diskutiert. Deshalb hab ich hier meine Ansichten etwas ausführlicher niedergeschrieben. Die folgenden Ausführungen beziehen sich konkret auf den blog von Georg Günsberg, http://guensberg.wordpress.com/2013/02/12/geht-es-wirklich-um-climate-crimes-eine-kritik-zur-laufenden-doku/

Eines gleich vorweg: ich bin Naturschützer, der sich für den Klimaschutz einsetzt. Aber eben für echten Klimaschutz und nicht für das, was uns da alles als solcher verkauft wird. Der Film heißt deshalb auch Climate Crimes – Umweltverbrechen im Namen des Klimaschutzes. Es geht um Etikettenschwindel, um Betrug.

Natürlich könnte man bei all den aufgezeigten Projekten das Klimathema ausblenden. Also Palmölanbau ohne Klimaschutz, Biogas kein Klimaschutz, Wasserkraft kein Klimaschutz. Das wäre eine fatale Fehleinschätzung der Realität. Der Klimaschutz hat maßgeblichen Anteil am boom dieser „grünen Energien,“ er ist der aktuelle Motor dahinter. Deshalb „…kontextualisiert…“ der Film auch nicht falsch, sondern meines Erachtens genau richtig. Der Klimaschutz wird missbraucht, um Natur zu zerstören, Arten auszurotten und Menschen zu vertreiben. Und letztlich ist die Pauschalisierung in dem Zusammenhang legitim, wenn ich sage, dass „der Klimaschutz“ ein Verbrechen ist. Es geht im Film nämlich um den Klimaschutz, der uns als solcher verkauft wird, nicht um den, den wir hoffentlich alle meinen, bzw. uns wünschen. Die Ansicht im Blog, dass der Klimaschutz „.. manchmal missbräuchlich als Argument eingesetzte wird…“ ist gelinde gesagt eine Verzerrung der Realität. Ich war leider auf viel zu vielen Konferenzen in den letzten Jahren und bin schon zu lange im Naturschutzgeschäft, um das nicht mitbekommen zu haben. Ich hab viele Stunden Interviews mit NGO Vertretern, Politikern, Lobbyisten für Climate Crimes aufgenommen. Fast schon wie ein Mantra rufen alle: die erneuerbaren Energien müssen ausgebaut werden. Für´s Klima. Koste es was es  wolle … steht häufig ungesagt dahinter. Und genau der Meinung bin ich nicht. 

Schaut euch die Werbungen der Firmen, die Reden und Interviews der Politiker, die Marketingstrategien verschiedener Fonds etc. an. Überall versucht man mit dem Klimathema und dem grünen Wachstum Profit zu machen. Das alles zusammen hat letztlich zu einem Klimawandel im Kopf geführt, durch den Naturzerstörung nun hingenommen wird, nach dem Motto: „Es ist ja gut fürs Klima.“

Auch im öffentlichen Diskurs und innerhalb der NGO Szene wird der Klimaschutz tatsächlich häufig als Totschlagargument gebraucht. Hab ich hunderte Male erlebt. Schutz von Flüssen? Aber es geht doch ums Klima! Schutz von Landschaft? Klima! Schutz von Wäldern: Klima! Widerspruch? Hochverrat!

 

Und das schlimme ist doch, dass beim Klimaschutz nix weitergeht. Es findet eben keine drastische Reduktion der Klimagase statt. Allein in Deutschland sind gerade 13 Kohle- und Gaskraftwerke im Bau oder stehen kurz davor. Von wegen grüne Energie ersetzt konventionelle Kraftwerke.

Echter Klimaschutz würde zu allererst auf die Reduktion des Verbrauchs setzen und zwar drastisch und konsequent. Wir reden aber in 90 % der Fälle über zusätzliche Produktion, also von Wachstum. Das kann nicht gut gehen und tut es ja auch nicht. So wie derzeit die Klimapolitik läuft und wie diese grünen Energien forciert werden tut man nix fürs Klima, man beschleunigt nur die Naturzerstörung, den Artenrückgang und die Vertreibung von Menschen. Climate Crimes eben.

Was wir stattdessen brauchen, sagen im Film die beiden Ökonomen, Niko Paech und Tim Jackson. Natürlich einerseits die Abkehr vom Wachstum. Andererseits und um einiges konkreter: Establish the limits. Grenzen setzen. Und da haben wir beim Natur- und Artenschutz bisher versagt. Wir brauchen für die globale Natur, aber auch für die vor unserer Haustür so etwas wie Flächennutzungsplan, einen Masterplan, der festlegt, wo was gebaut werden darf und wo nicht. Sonst passiert genau das, was jetzt geschieht, Raubbau an der Natur.

Wenn man mir schon nicht glaubt, dann vielleicht Niko Paech? Paech ist einer der bekanntesten Ökonomen Deutschlands und Wachstumskritiker. Der setzt sich in Deutschland für ein generelles Flächenmoratorium ein, d.h. auch für erneuerbare Energien sollen keine unverbauten Flächen mehr geopfert werden, nicht für Wind, nicht für Solar etc. Aus gutem Grund. Auch ihm darf man getrost glauben, dass ihm an einer Energiewende gelegen ist. Aber das,  was da gerade abläuft hält er für extrem kontraproduktiv. Ein Beispiel hier http://www.youtube.com/watch?v=_0ipeAByMZ0

Ich denke, ich spreche für viele, wenn ich sage, dass ich sehr wohl für den Umbau des Energiesystems bin, aber das, was da derzeit abläuft, hab ich nicht gewollt und macht auch keinen Sinn. Nach einigen Wochen touren mit dem Film durch Deutschland bin ich mehr denn je davon überzeugt, dass wir vieles grundsätzlich überdenken müssen. Wir brauchen einen Klimaschutz, der die Natur viel stärker mit einbezieht. Zu häufig wird Naturzerstörung durch Umwelt (Klima-)schutz argumentiert.

Es scheint mir hoch an der Zeit, dass wir die Klimadebatte neu führen, dass wir uns mal ernsthaft überlegen, was in der Vergangenheit falsch gelaufen ist und was wir anders machen sollten. Ein „weiter so, nur mehr davon“ kann es doch nicht sein. Das zu verkennen, wäre fatal. Nicht nur für uns und die Umwelt, sondern auch für den Klimaschutz.

Zu den einzelnen Themen des Films:

Die Wasserkraft möchte ich mit einem Zitat der Wasserkraftlobby beginnen: „The outlook for the hydro energy sector appears bright on the backdrop of the strong governments support all over the world. The key drivers of the growth in installed capacity are the favorable government policies for the clean sources of energy and concerned over global warming.” (Global Data, Water&Dams 2010).

Nie zuvor hat es einen derart großen Ausbauboom gegeben wie jetzt. Wie es auch im Film beschrieben ist, wurden in den 1990er Jahre kaum neue Staudämme gebaut. Warum? Weil überall der Widerstand groß war und selbst die Weltbank erkannte, das die Dämme zu häufig nicht halten, was sie versprechen. Deshalb stoppte die auch die Finanzierung großer Wasserkraftwerke. Das hat sich völlig geändert. Der ehemalige Weltbank Chef Robert Zoellik änderte die Politik. Wegen des Klimawandels sei Gefahr in Verzug, die Wasserkraft solle deshalb verstärkt ausgebaut werden – so Zoellik. Seitdem fließt das Geld wieder in den Bau von Staudämmen. 2010 wurden weltweit 110 Mrd US $ investiert, 2011 waren es noch einmal mehr (zum Vergleich: 2010 flossen weltweit 19 Mrd $ in den Ausbau der Solarenergie).

Beispiele gibt es zuhauf, nicht nur in Brasilien und der Türkei. Am Balkan zwischen Slowenien und Albanien sind 570 Dämme geplant und selbst Österreich plant 60 weitere Staudämme, und das, obwohl ohnehin schon das meiste verbaut ist. „Das hat doch nichts mit Klimaschutz zu tun, da geht es doch nur um alte Wirtschaftsinteressen,“ rufen wir seit Jahren. Aber in der Öffentlichkeit spielt die Politik und die Wirtschaft die Klimakarte auch bei uns aus. Seht euch nur die Werbungen von Andritz, Verbund, EVN, TIWAG an. Wasserkraft wird per se als Klimaretter verkauft und genau das erleichtert den Bau neuer Dämme, auch die von Belo Monte und Ilisu.

Belo Monte und Ilisu stehen im Film stellvertretend für abertausende andere Staudammprojekte, die vielleicht nicht so bekannt und eindrücklich sind.

Wir haben die beiden Projekte und deren zu erwartenden Folgen auch deshalb ausführlicher beschrieben, weil vielen Menschen nicht klar ist, was an der Wasserkraft so schlecht ist. Anders als beim Regenwaldzerstörung für Biosprit oder beim Maisanbau oder Wind, geschieht bei der Wasserkraft das meiste unter Wasser und ist deshalb nicht so offensichtlich.

Ähnlich verhält es sich beim Biogas. Na klar gibt es in Deutschland mehr Futtermais, als Energiemais, der wird ja auch schon viel länger genutzt. ABER: der Motor für den irren Ausbau in den letzten Jahren war Biogas. Um 200.000 Hektar ist die Energiemaisfläche zuletzt pro Jahr angewachsen! Und die Energiemaisflächen nehmen weiter zu, wenn auch nicht ganz so stark wie zuvor. Immer noch werden täglich Wiesen umgebrochen, um letztlich Biogas zu gewinnen. Und wieder: Biogas auf Maisbasis nutzt dem Klimaschutz nix, garnix. Dazu kann man sich auch gerne die aktuelle Leopoldina-Studie ansehen. Die kommt zu gleichem Ergebnis. http://www.leopoldina.org/de/publikationen/detailansicht/?publication[publication]=433

Welche Folgen der Biogasboom hat, kann man sich im Film ansehen oder man fährt z.B. nach Norddeutschland oder Bayern und sieht sich das selber an. Wirklich alles sehr beeindruckend.

Biogas auf Abfallbasis wäre wünschenswert, spielt aber bei der Gesamterzeugung von Biogas keine Rolle. Deshalb ist das auch nicht im Film erwähnt.

Für sehr gewagt halte ich die im Blog geäußerte Ansicht über die Palmölplantagen auf Borneo: Klimaschutz sei nicht der Treiber für den aktuellen Ausbau der Plantagen, heißt es da. Das widerspricht allen Fakten und meinen Erfahrungen vor Ort. Wozu sonst ist Palmöl bei uns in jedem Liter Diesel? Doch wohl nur, damit die Klimabilanz des Verkehrs verbessert wird. Und diese Nachfrage hat natürlich Auswirkungen in den Erzeugerländern, sprich, der Druck auf die Fläche steigt. Palmöl ist bei uns in viel zu vielen Lebensmitteln, Kosmetika etc. Aber der Markt ist einigermaßen gesättigt. Jetzt kommt Biosprit daher und der lässt die Kassen klingeln und die Natur verschwinden.

Ich finde, die Klimapolitik ist gescheitert, bzw. ist am besten Wege dorthin. Dabei wäre es so schön gewesen: die grüne Technik rettet uns, den Artenvielfalt, die Weltwirtschaft, die Erde überhaupt. Es tut mir Leid, dass ich diese einfachen Antworten bezweifle und bekämpfe. Aber die Zivilgesellschaft hat geradezu die Pflicht, den mainstream zu hinterfragen, auch wenn dieser aus den „eigenen Reihen“ kommt. Das ist oft nicht angenehm. Dafür wir müssen ja auch nicht gewählt werden.

Klimaschutz ohne die Natur mit einzubeziehen ist absurd. Doch genau das läuft gerade. Darauf soll der Film eben auch aufmerksam machen. Und wie die bisherigen Diskussionen in Deutschland zeigen, tut er das auch. Vielen davon spricht der Film aus der Seele oder wie es Hubert Weiger, Chef der größten deutschen Umweltorganisation BUND nach der Vorführung in Berlin formulierte: „Der Film war überfällig.“

 Abschließend noch ein Zitat des Ökonomen Niko Paech zu dem Thema:

„Was derzeit im Namen nicht nur des Klimaschutzes, sondern auch des grünen Wachstums vonstatten geht, würde ich als eine Art Amoklauf gegen die Natur und damit auch gegen den letzten Rest an ökologischer Vernunft bezeichnen.“

Dem ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen.

Belo Monte = Wasserkraft Gigantomanie

Gestern hat Brasiliens Staatschef Lula grünes Licht für „Belo Monte“ gegeben. Was so idyllisch klingt, ist in Wahrheit eines der verheerendsten Angriffe auf das Amazonasgebiet: am Xingufluss soll das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt entstehen. 17.000 Menschen sollen ihre Heimat verlieren, darunter viele Indios. 100 Fischarten sollen, so brasilianische Wissenschaftler, durch Belo Monte aussterben. Wie viele Amphibien, Reptilien, Vögel oder gar Insekten es darüber hinaus „trifft“ ist völlig unklar. Denn – genau
wie bei Ilisu – gibt es keine seriöse Umweltprüfung. Ähnlich ist es bei den Anwohnern: für die Indios in Amazonien gibt es ebenso wenig Klarheit über deren Zukunft, wie bei den Menschen in der Türkei. Umsiedlungsplan? Fehlanzeige.
Bei Belo Monte geht es nicht nur um den Xingufluss und seine Bewohner, es geht um die Zukunft des gesamten Amazonasgebietes. 80 weitere Megadämme sollen laut Regierung Lula folgen. Eintausend Fischarten, könnten dadurch aussterben. Ein Zehntel aller Süßwasserfischarten der Welt.

Das Ilisu Projekt in der Türkei und Belo Monte haben vieles gemeinsam, aber v.a. eines: sie sind rücksichtslose Gigantomanieprodukte. Rücksichtslos gegen die Natur und gegen die Bewohner. Diese Form der Wasserkraft läuft letztlich auf die völlige Vernichtung der Naturgebiete und seiner Bewohner hinaus.

Auffällig ist, dass derartige Mega-Projekte v.a. in Länder wie Türkei, Brasilien und China forciert werden. Diese wirtschaftlich aufstrebenden Staaten kennzeichnen diktatorische politische Strukturen (zumindest aber schwache Demokratien) mit extremer kapitalistischer Ausrichtung, hohe Technikgläubigkeit und ein starker Hang zur Gigantomanie. „Geld machen“ geht über alles, Natur wird nur als Ressource geschätzt, die es auszubeuten gilt. Menschen stehen nur im Wege und werden vertrieben. Dazu kommt eine logischerweise noch schwache Zivilgesellschaft, die v.a. in Sachen Natur kaum mit der technischen Ausbeutung Schritt halten kann. Noch dazu in unserer halbglobalisierten Welt. Denn während die Regeln der Finanzen und Wirtschaft weltweit gelten, sind soziale und ökologische Belange rechtlich noch auf der Ebene der Provinz angesiedelt. Aber Gigantomanieprojekte wie Belo Monte oder Ilisu haben weltweite Konsequenzen (Zerstörung der Artenvielfalt, Kulturschätze). Deshalb betrifft mich der Staudamm am Xingu ebenso, wie jemand aus Rio oder Sao Paulo. Wenn wir den Amazonas erhalten wollen, dann müssen auch wir uns engagieren und den Wahnsinn stoppen.

Auch das Argument, dass Belo Monte 23 Mio Haushalte mit Strom versorgt, ist nicht mehr als der übliche marketing Gag: die Energie kommt nämlich nicht den Anwohnern zu Gute, sondern soll für immer neue und größere Aluminiumwerke in Brasilien verwendet werden.

Die Verkündung des Baus ist nicht das Ende des Widerstandes, im Gegenteil. Belo Monte kann zu einem weltweiten Symbol für rücksichtslose Zerstörung werden. Das letzte Wort ist noch lange nicht gesprochen.

Andritz: Großer Gewinn und schwache Ausreden

Jetzt hat die in Graz ansässige Firma Andritz ihren Gewinn im ersten Halbjahr 2010 um 78,5% auf über 92 Mio Euro gesteigert – v.a. weil die Firma skrupellos genug ist und sich im Gegensatz zu anderen europäischen Firmen weiterhin am türkischen Skandalprojekt Ilisu beteiligt. Außerdem steht mit dem brasilianischen Belo Monte Staudammprojekt im Urwald Amazoniens schon das nächste Skandalprojekt vor Andritz´s Tür. Und Skrupellosigkeit zahlt sich aus, weil die tatsächlichen Folgen für Natur und Menschen nicht berechnet werden.

Das verwundert natürlich nicht. Was mich aber gestern bei der Pressekonferenz von Andritz-Chef Wolfgang Leitner überrascht hat, war, wie platt er das Engagement bei Ilisu rechtfertigte: die Türkei habe versprochen, die internationalen Standards einzuhalten. Jetzt aber wirklich. Das ist lächerlich und entweder naiv oder eine bewusste Irreführung der Öffentlichkeit. Vermutlich ist es einfach nur Firmen Marketing ohne jeden Inhalt.

Fakt ist, dass die Türkei keinerlei Standards einhält, wie sie die Europäer gefordert hatten: Menschen werden nach wie vor vertrieben, es gibt keinerlei Umweltstudien und Hasankeyf soll im Stausee wie eh und je geplant, untergehen. Was daran, Herr Leitner, ist da neu? Und wo sind eigentlich die Grenzen Ihrer Firma, ab wann nehmen Sie ein Angebot nicht an? Rhetorische Fragen, denn wer sich an Ilisu beteiligt, macht für Geld alles. Und noch zahlt es sich ganz offensichtlich aus.

Noch, denn auch wenn es im Moment so aussieht, als ob der Staudammtsunami über die Natur und Menschen hinwegschwappt, noch sind die Projekte nicht gebaut, der Widerstand geht weiter. In Ilisu und am Amazonas schließen sich Künstler und Anwohner, NGOs und Kirchenleute zu einer Protestbewegung zusammen, die noch zu einem Albtraum für Andritz und Co werden kann. Die Auseinandersetzungen werden noch viele Jahre dauern und so lange kommt Andritz nicht aus den negativen Schlagzeilen.

Außerdem erscheinen immer mehr internationale Studien, die die generellen Folgen der Wasserkraft ins negative Licht rücken. Erst kürzlich errechnete eine amerikanische Expertise, dass die bisherigen Megadämme etwa 500 Millionen Menschen ins Verderben geschickt haben. Bisher war die Weltbank von etwa 80 Millionen Menschen ausgegangen.Mit Projekten wie Ilisu und Belo Monte ist die Wasserkraft auf dem besten Weg, ihr grünes Image zu verlieren. Die Stimmung ändert sich gerade.

Vom Bösen und Guten

Die Türkei hat also die Verträge wegen Ilisu unter Dach und Fach und Andritz verkündet stolz, dass sie 340 Millionen Euro an dem Projekt verdienen. Wie nicht anders zu erwarten, reagierte die Wirtschafts- und Finanzwelt mit Jubelrufen und Huldigungen. Klar gibt es ein paar Nachteile (zigtausende Vertriebene, Kulturgenozid, etc.), so der Tenor, aber – hey – die gibt es doch immer und es geht um 340 Millionen.

Ähnlich war es vor wenigen Monaten. Anfang Februar hieß es in der Presse: „Die Genehmigung des Belo Monte Projekts ist positiv. Es bestätigt unsere Annahme eines dynamischen Marktumfelds im Bereich Hydropower“, so die Analysten der Berenberg Bank. Was da so bejubelt wird, ist die Genehmigung eines Staudammprojektes am Xingu, einem Zufluss des Amazonas im brasilianischen Regenwald. Anleger reiben sich die Hände, allen voran die Aktionäre der Andritz AG. Der Wert ihrer Aktie stieg um mehr als 6 Prozent, weil erwartet wurde, dass sich die österreichische Firma an diesem Projekt beteiligt. Das waren über 132 Millionen Euro, die die Anleger theoretisch verdient haben. An einem Tag! Der Preis, der nicht in der Bilanz aufscheint: hunderte Tier- und Pflanzenarten würden für immer vom Planeten verschwinden, darunter allein 100 Fischarten, 20.000 Menschen würden ihre Heimat verlieren.

Wenn Sie mich fragen, zeigen diese Reaktionen einmal mehr, dass die Wirtschaft, Politik und die Finanzwelt nichts gelernt hat. Von wegen gestiegenes Bewusstsein, Nachhaltigkeit und „CSR“. Das Gegenteil ist wahr: sie werden immer gieriger und rücksichtsloser. Sie stehen schließlich nicht nur im Wettbewerb mit anderen Unternehmen, sondern auch mit dem härtesten Gegner überhaupt: der Gewissheit, dass nicht mehr viel von der Natur übrig ist und wer noch die letzten Reste davon ausbeuten will, muss Ellebogen zeigen und selbst dann weitermachen, wenn alle Vernunft dagegen spricht.

Die Klimafalle

Aber es wäre zu einfach, alles auf die „bösen Heuschrecken“ zu schieben. Eine Mitschuld an der Situation tragen wir selbst, die NGOs. Denn seit der Klimawandel das alles beherrschende Thema ist, kümmert sich kaum noch jemand um die Wasserkraft und deren Folgen. Nicht nur bei den prominentesten Projekten Ilisu und Belo Monte ist keine große Umwelt-NGO an vorderster Front dabei, sondern bei keinem Wasserkraftwerk weltweit! Gleiches gilt für die Atomkraft und die Biospritlobby. Sie sind die wahren Klimagewinner. Firmen, Staaten und Banken haben die einmalige Gelegenheit, im Namen des Klimaschutzes in kurzer Zeit enorm viel zu zerstören und zu verdienen, ohne mit Widerstand rechnen zu müssen. Das nennt man „window of opportunity“. Und die großen NGOs machen mit. Sie verhalten sich wie ein Hamster im Rad, der rennt und rennt, dabei aber keine Meter macht und nur das Rad am Laufen hält.

Es ist zu befürchten, dass im Namen des Klimaschutzes weit mehr Natur zerstört wird, als durch den Klimawandel selbst. Allein am Amazonas dürften etwa 1.000 Fischarten aussterben, wenn die brasilianische Regierung ihren Plan umsetzt und hier 79 Megadämme baut. Das sind 10 Prozent aller bekannten Süßwasserfischarten der Erde! Dem Klimaschutz geopfert. Und auch bei den Menschen sieht’s nicht viel besser aus: 80 Millionen wurden bisher durch Megadämme vertrieben. Tendenz steigend. Und WWF & Co? Schweigen!

Bevor wir also von der Wirtschaft und der Politik Einsicht verlangen, sollten wir uns an die eigene Nase fassen und unsere Standpunkte überdenken. Eine  (Umwelt-)Zivilgesellschaft, die sich in ihren Positionen kaum noch von denen der herrschenden Schichten unterscheidet,  ist sinnlos. Wir müssen Unterschiede aufzeigen und Konflikte annehmen. Dazu eignen sich besonders Projekte wie Ilisu und Belo Monte. Sie haben das Potential zur Veränderung. An ihnen kann man festmachen, was falsch rennt, kann Emotionen wecken, wachrütteln. Denken Sie an Hainburg 1984, Nagymaros (Ungarn) 1989, Loire 1992 usw. Das waren Konflikte, deren Bedeutung und Folgen weit über die jeweilige Region und Zeit hinaus gewirkt haben.

Die Chancen sind da, man muss sich nur trauen.

Vom Bösen und Guten

Die Türkei hat also die Verträge wegen Ilisu unter Dach und Fach und Andritz verkündet stolz, dass sie 340 Millionen Euro an dem Projekt verdienen. Wie nicht anders zu erwarten, reagierten die Wirtschafts- und Finanzwelt mit Jubelrufen und Huldigungen. Klar gibt es ein paar Nachteile (zigtausende Vertriebene, Kulturgenozid, etc.), so der Tenor, aber – hey – die gibt es doch immer und es geht um 340 Millionen.

Ähnlich war es vor wenigen Monaten. Anfang Februar hieß es in der Presse: „Die Genehmigung des Belo Monte Projekts ist positiv. Es bestätigt unsere Annahme eines dynamischen Marktumfelds im Bereich Hydropower“, so die Analysten der Berenberg Bank. Was da so bejubelt wird, ist die Genehmigung eines Staudammprojektes am Xingu, einem Zufluss des Amazonas im brasilianischen Regenwald. Anleger reiben sich die Hände, allen voran die Aktionäre der Andritz AG. Der Wert ihrer Aktie stieg um mehr als 6 Prozent, weil erwartet wurde, dass sich die österreichische Firma an diesem Projekt beteiligt. Das waren über 132 Millionen Euro, die die Anleger theoretisch verdient haben. An einem Tag! Der Preis, der nicht in der Bilanz aufscheint: hunderte Tier- und Pflanzenarten würden für immer vom Planeten verschwinden, darunter allein 100 Fischarten, 20.000 Menschen würden ihre Heimat verlieren.

Wenn Sie mich fragen, zeigen diese Reaktionen einmal mehr, dass die Wirtschaft, Politik und die Finanzwelt nichts gelernt hat. Von wegen gestiegenes Bewusstsein, Nachhaltigkeit und „CSR“. Das Gegenteil ist wahr, sie werden immer gieriger und rücksichtsloser. Sie stehen schließlich nicht nur im Wettbewerb mit anderen Unternehmen, sondern auch mit dem härtesten Gegner überhaupt: der Gewissheit, dass nicht mehr viel von der Natur übrig ist und wer noch die letzten Reste davon ausbeuten will, muss Ellebogen zeigen und selbst dann weitermachen, wenn alle Vernunft dagegen spricht.

Die Klimafalle

Aber es wäre zu einfach, alles auf die „bösen Heuschrecken“ zu schieben. Eine Mitschuld an der Situation tragen wir selbst, die NGOs. Denn seit der Klimawandel das alles beherrschende Thema ist, kümmert sich kaum noch jemand um die Wasserkraft und deren Folgen. Nicht nur bei den prominentesten Projekten Ilisu und Belo Monte ist keine große Umwelt-NGOs an vorderster Front dabei, sondern bei keinem Wasserkraftwerk weltweit! Gleiches gilt für die Atomkraft und die Biospritlobby. Sie sind die wahren Klimagewinner. Firmen, Staaten und Banken haben die einmalige Gelegenheit, im Namen des Klimaschutzes in kurzer Zeit enorm viel zu zerstören und zu verdienen, ohne mit Widerstand rechnen zu müssen. Das nennt man „window of opportunity“. Und die großen NGOs machen mit. Sie verhalten sich wie ein Hamster im Rad, der rennt und rennt, dabei aber keine Meter macht und nur das Rad am Laufen hält.

Es ist zu befürchten, dass im Namen des Klimaschutzes weit mehr Natur zerstört wird, als durch den Klimawandel selbst. Allein am Amazonas dürften etwa 1.000 Fischarten aussterben, wenn die brasilianische Regierung ihren Plan umsetzt und hier 79 Megadämme baut. Das sind 10 Prozent aller bekannten Süßwasserfischarten der Erde! Dem Klimaschutz geopfert. Und auch bei den Menschen sieht´s nicht viel besser aus: 80 Millionen wurden bisher durch Megadämme vertrieben. Tendenz steigend. Und WWF & Co? Schweigen!

Bevor wir also von der Wirtschaft und der Politik Einsicht verlangen, sollten wir uns an die eigene Nase fassen und unsere Standpunkte überdenken. Eine  (Umwelt-)Zivilgesellschaft, die sich in ihren Positionen kaum noch von denen der herrschenden Schichten unterscheidet,  ist sinnlos. Wir müssen Unterschiede aufzeigen und Konflikte annehmen. Dazu eignen sich besonders Projekte wie Ilisu und Belo Monte. Sie haben das Potential zur Veränderung. An ihnen kann man festmachen, was falsch rennt, kann Emotionen wecken, wachrütteln. Denken Sie an Hainburg 1984, Nagymaros (Ungarn) 1989, Loire 1992 usw. Das waren Konflikte, deren Bedeutung und Folgen weit über die jeweilige Region und Zeit hinaus wirkten.

Die Chancen sind da, man muss sich nur trauen.